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Ist Tec weiblich?

Autorenbild: bernadettebeckbernadettebeck

Aktualisiert: 15. Sept. 2024

Seit jeher ist Technologie in der westlichen Welt, vor allem aber in Deutschland eine Männerdomäne. Ich erinnere mich an meine Jugend Ende in den 1980er und 90er Jahren: Ob in der Schule, bei der Studien- und Berufsberatung oder im Studium – Mädchen und Frauen wurde gefühlt jegliches Talent und Interesse für technische Themen abgesprochen.


Vorurteile in der Schule

Im Gedächtnis geblieben ist mir noch ein ironischer Kommentar einer Lehrerin: Sie sagte, es sei taktisch unklug, als Mädchen den Schwerpunkt auf Technik als Wahlfach zu legen, da es uns später nichts nutzen würde. Stattdessen sei der Fokus auf weitere Fremdsprachen für uns viel sinnvoller, so die Lehrkraft weiter.



Frauen in Tech
Illustration by Dovile Kietzmann www.dovile.de


Auch gegengeschlechtlich war die Situation ähnlich: Meine männlichen Mitschüler hatten mit den entsprechenden Stereotypen zu kämpfen, wenn sie vermeintlich weibliche Fächer wie Hauswirtschaft und Textiles Werken wählen wollten. Wenige hatten den Mut, trotzdem HTW zu wählen, und setzten sich damit über ausgesprochene und unausgesprochene Erwartungen hinweg. Ich brachte hingegen nicht den Mut auf, Technik zu wählen. Geprägt durch Erziehung und gesellschaftliche Strukturen, hatte ich eine sehr hohe Barriere in meinem Kopf. Zu hoch, um das Kreuz bei dem Wahlfach zu machen, für das mein Herz schlug und das mir viel Spaß gemacht hätte.


Es hat mich zwar viele Jahre an innerer Arbeit gekostet. Doch schließlich konnte ich mein Mindset so weit verändern, dass ich meine Berufung und Erfüllung in der Tec-Welt finden konnte. Ich gebe zu, dass ich den Mut, mich dieser Domäne zu öffnen, vor allem meinem damaligen Ehemann zu verdanken haben.


Die unerwartete Entscheidung zum technischen Studium

Seine Leidenschaft für Computerspiele hatte in ihm den Wunsch geweckt, selbst Software zu entwickeln. Daher studierte er Informatik. Dank ihm bekam ich schnell Zugang zu dieser Welt, die mir zuvor verschlossen schien. Schnell entdeckte ich, dass ich nicht nur Freude an technischen Inhalten, sondern auch eine eindeutige Begabung als Techie hatte. Mein Mann bestärkte mich, sodass ich mich an der Hochschule einschrieb.


Was mir bei dieser Entscheidung noch nicht klar war, war die geringe Anzahl an anderen Frauen, die damals diesen Zugang fanden. Schon im ersten Semester wurde mir bewusst, dass ich mit meinem Geschlecht deutlich in der Minderheit war. Es hatte bestimmt einige praktische Vorzüge, eine von wenigen Frauen zu sein: Als Exotin und auf den Semesterpartys und dem Campus konnte ich mir der Aufmerksamkeit der Kommilitonen sicher sein. In Vorlesungen und Praktika wurden hingegen häufig Stereotypen in Bezug auf Frauen aufgerufen, von denen sich zu befreien, schwer war. Das wurde mit dem Eintritt ins Berufsleben nicht einfacher. Mir blieb nur die Strategie gegen diese Stereotypen anzukämpfen und nicht an mir zu zweifeln.


Ich lernte schnell, immer eine Spur mehr zu leisten und eine Stufe besser zu sein als die männlichen Kollegen. So konnte man mich nicht mehr ignorieren und ich näherte mich dem Ziel, endlich ernst genommen zu werden. Es war ein steiniger und oft sehr einsamer Weg für mich und bestimmt auch für andere Frauen, die in den 2000er und 2010er Jahren anfingen, in IT-Berufen zu arbeiten.


Rückenwind durch Kulturunterschiede

Im Zuge meiner internationalen Karriere fiel mir auf, dass in den großen asiatischen Ländern wie China und Indien die Barrieren weniger sichtbar sind. Der Anteil der Frauen, die gut ausgebildet in technischen Berufen arbeiten, liegt deutlich höher. Mit einem Mal gab es mehr von uns im Team und manchmal haben wir sogar die kritische Masse von 30% weiblichen Mitarbeitenden überschritten und in Indien sogar die 50%-Marke geknackt. In Deutschland wäre das völlig undenkbar gewesen.


Für mich war es neues Gefühl und eine bereichernde Erfahrung, endlich „Schwestern“ an meiner Seite zu haben: Kolleginnen mit einem ähnlichem Skillprofil, die denken wie ich, fühlen wie ich, sprechen und handeln wie ich sowie die gleichen Herausforderungen haben wie ich. Diese Erfahrung hat mich tiefer mit dem Team und der Arbeit verbunden und machte die täglichen Herausforderungen leichter. Ich konnte mich von meiner Isolation und meinen Selbstzweifel befreien. Wenn ich das Gefühl hatte, nicht verstanden und als zu „emotional“, „intuitiv“, „verbissen“ abgestempelt oder sogar belächelt zu werden, war ich damit nun nicht mehr allein. Ich wurde verstanden, ernst genommen und gehört. Und es gab nun auf einmal Kolleg*innen um mich herum, denen es genauso ging und die diese Erfahrungen kannten.


Darüber hinaus kannte meine Kolleginnen auch den Druck, einerseits Mutter zu sein und gesellschaftliche Erwartungen zu erfüllen und andererseits neben Männern im Job zu performen und damit verbreitete Vorurteile aufzubrechen. Wir hatten wenige Vorbilder, an denen wir uns hätten orientieren können. Daher sahen wir uns gegenseitig als Gleichgesinnte, unabhängig von unseren deutschen, chinesischen, indischen oder etwaigen anderen Nationalitäten. Uns verband die Leidenschaft für Tec und das Dasein als Frau in einer männlich geprägten Welt.


Und obwohl Frauen in der technischen Expertise Männern in nichts nachstehen, verleitet mich das nicht zu der Annahme, Frauen und Männer seien komplett gleich. Mir fällt häufig auf, dass Frauen anders denken, fühlen und andere Herangehensweisen wählen. Sicherlich ist dies dadurch begründet, dass Frauen in quasi jeder Kultur und jedem Staatsystem eine andere gesellschaftliche Verantwortung zukommt als Männern. Diese Annahme teilten die männlichen und weiblichen Mitglieder meiner Teams. In dieser Atmosphäre des gegenseitigen Respekts arbeiteten alle Kolleg*innen so produktiv zusammen, wie ich es selten erlebt habe. Man begegnete sich auf Augenhöhe.


Frauen haben eigene Bedürfnisse und brauchen einen eigenen Ausdruck, der idealerweise Einzug in die Tec-Domäne finden sollte. Denn nicht nur durch die gesteigerte Vielfalt konnte sich der Reifegrad der Teams allgemein verbessern, sondern es gab auch ganz konkrete Optimierungen: Man denke an flexible Arbeitszeiten, virtuelles Arbeiten, besseren Arbeitsschutz, etc. – Rahmenbedingungen, die zwar nicht nur Frauen (mit Familie) zu verdanken sind, aber von ihnen schon sehr lange eingefordert wurden.


Seit meiner Jugend, in der Mädchen in ihren technischen Ambitionen von nur wenigen Worten einer Lehrkraft entmutigt wurden, hat sich einiges getan. Längst ist nicht alles perfekt. Es liegt noch ein langer Weg vor uns. Doch zwischendurch genieße ich die Erfahrungen in Asien, wo sich wesentlich mehr Frauen für technische Studien entscheiden und schon damit einen Unterschied für unser Geschlecht in der Industrie machen.


Frauen, seid mutig, euch für technische Disziplinen zu öffnen, denn sie bieten einen großen Raum für Wachstum, das nicht zuletzt auch Karriere und Gehalt beeinflusst. Jede von euch, die in diese Welt eintritt, macht sie ein bisschen weiblicher und damit diverser.

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