Mit Sicherheit habt ihr im Berufsalltag erlebt, dass Personen aneinander vorbeireden, Missverständnisse entstehen oder Gespräche sogar aus dem Ruder laufen und in einen unangenehmen Ton abdriften. Es ist für die meisten Beteiligten nicht leicht, damit umzugehen. Ich habe für mich selber im Laufe der Zeit einen guten Umgang mit verbalen Entgleisungen und persönlichen Angriffen gefunden.
Mir ist inzwischen bewusst: Je emotionaler ein Angriff ist, desto weniger kann ich als Person gemeint sein und desto mehr scheint mein Gegenüber mit ganz anders gelagerten Problemen zu kämpfen.
Möglicherweise liegt meine rationale Haltung an meiner individuellen Geschichte, meinen Erlebnissen und Prägungen. Ich weiß, dass nicht jede(r) aus entglittenen oder eskalierten Gesprächen unbeschadet herauskommt. Daher möchte ich von meinen Gesprächspartner*innen Bernadette Beck, Bei Bei Yu und Judith Praßer wissen, wie sie mit problematischer Kommunikation umgehen und ab wann Kommunikation toxisch wird.
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Dovile: Fangen wir zunächst mit harmlos aussehenden Missverständnissen an: Ich habe häufig beobachtet, dass Kolleg*innen ‚babbeln‘, also aneinander vorbeireden, anstatt zu kommunizieren. Kann es auch eine bewusste Strategie sein, sich nicht klar zu verständigen? Bernadette, welche Erfahrungen hast du in deiner langjährigen Laufbahn gesammelt?
Bernadette: In Transformationsprozessen habe ich oft beobachtet, dass Unsicherheit in einer Gruppe herrscht und dann die Kommunikation dadurch beeinflusst wird. Der eine greift zu Plattitüden, um sich als stark zu inszenieren. Der andere wendet manipulative Taktiken an. Wenn ich solche verbalen Spiele bemerke, versuche ich, sie im Kontext zu sehen. Liegt es daran, dass die Person Angst hat, etwas zu verlieren? Bewirken die Veränderungen eine Überforderung? Oder werden selbst empfundene Defizite überkompensiert?
Dovile: Heißt das, dass du Fehlkommunikation als Symptom tieferliegenden Problemen siehst?
Bernadette: Das ist richtig. Gewisse Strukturen in der Kommunikation kommen sehr häufig vor: Einige Mitarbeitende haben Schwierigkeiten, sich klar auszudrücken. Es gibt ganze Abteilungen, die mit einer anderen nicht reden können. Oder man begegnet Selbst-Darsteller*innen, die Anerkennung suchen. Das sind nur Beispiele. Es ist entscheidend, ob diese Strukturen sich schon vor meinem Eintritt manifestiert haben. Je nachdem ob mein Eintritt der Auslöser war oder nicht, muss ich anders nach den Gründen suchen.
Dovile: Bei Bei, welche Situationen werden an dich als Coach herangetragen? Kommen Klient*innen mit Kommunikationsproblemen zu dir? Und welche Methoden und Techniken wendest du in solchen Fällen an?
Bei Bei: Ja, das kommt häufig vor. Dabei möchte ich zwischen zwei Fällen unterscheiden. Der erste Fall ist, dass Klient*innen Kommunikationsprobleme mit einzelnen Kolleg*innen haben. Situationen werden wie folgt beschrieben:
„Irgendwie komme ich mit meinem Kollegen Thomas nicht klar. Wenn ich einen Vorschlag einbringe, wie wir Dinge verbessern können, dann attackiert er mich verbal und stellt meine Ideen als schlecht dar.“
In so einem Fall bitte ich die Klient*innen, mir eine konkrete Situation zu beschreiben, in der dieses Kommunikationsproblem vorgekommen ist. Dann nutze ich das Kommunikationsquadrat von Schulz von Thun, um die 4 Ebenen (Sachebene, Selbstauskunft, Beziehungs- und Appellebene) der Unterhaltung zu analysieren. Das hilft, um erste Erkenntnisse zu generieren, wie z.B.: „Er fühlt sich von mir nicht respektiert und reagiert daher genervt auf meine Vorschläge.“ (Mehr zum Kommunikationsquadrat findet ihr in unserem Blogbeitrag über Feedback.)
Wie Bernadette schon angedeutet hat, ist es wichtig, in die tieferliegenden Ebenen vorzudringen. Im Coaching analysieren wir, welche Probleme sich unter der Ebene 'schroffe Ablehnung' verbergen könnten, und leiten daraus mögliche Lösungen ab.
Dovile: Und was ist der andere Fall?
Bei Bei: Der zweite Fall ist, dass Klient*innen Probleme haben, in einer Gruppe ihren Standpunkt zu vertreten. Da wende ich eine andere Methodik an. Eine gute Hilfestellung bietet der Leitsatz: „Start with the end in mind.“ Wenn Klient*innen nicht so ganz genau wissen, was sie sagen möchten, frage ich sie, was sie am Ende erreicht haben wollen? Und dann definieren wir den Weg dahin. Menschen, denen es schwerfällt, sich in einer Gruppe zu verbalisieren, wissen oft nicht, wofür sie stehen.
Wichtig ist in beiden Fällen, ins Handeln zu kommen: den Lösungsansatz in der realen Welt auszuprobieren und zu schauen, was dabei rauskommt. Was funktioniert, sollte man beibehalten, was nicht funktioniert, ersetzen.
Dovile: Und wie ergeht es dir selbst? Bist du als Coach Kommunikationsprofi und vor jedem Missverständnis gewappnet? Oder gibt es auch schon mal Fehlkommunikation?
Bei Bei: Ja, die gibt es bei mir auch – sowohl im privaten als auch im beruflichen Kontext. Mir persönlich hat Stephen Conways Buch '7 habits of highly effective people' geholfen, insbesondere das Prinzip: “Seek first to understand, then to be understood.” Versuche erst zu verstehen, um dann verstanden zu werden.
Wir gehen immer davon aus, dass es nur eine Realität gibt. Aber jeder Mensch lebt in seiner eigenen Realität hat eine bestimmte Perspektive auf die Dinge.
Wir sind oft erpicht darauf, unseren Standpunkt klarzumachen, und beachten weniger, was der andere sagen möchte. Das kann dazu führen, dass zwei Menschen aneinander vorbeireden und bei Meinungsverschiedenheiten keine Lösung finden.
Wenn wir aber versuchen, den anderen zuerst zu verstehen, dann entspannt sich das Gegenüber und so entsteht ein neuer Raum der Kommunikation. Das Gegenüber nimmt wahr „Okay, ich wurde verstanden, jetzt habe die Kapazität, die Perspektive des anderen zu erkunden.“ Man fühlt es fast körperlich, wie sich die Atmosphäre des Gesprächs und die Beteiligten sich entspannen, sobald sie sich verstanden fühlen.
Das ist nicht leicht. Aber man kann es lernen.
Dovile: Judith, du hast dich in deiner literaturwissenschaftlichen Ausbildung viel mit Sprache, Perspektiven und Dialoge. Lassen sich aus literarischen Texte Schlüsse für den beruflichen Alltag ableiten?
Judith: Selbstverständlich schult Lesen immer die Fähigkeit, eine andere Perspektive einzunehmen. Und das trifft insbesondere zu, wenn wir in einem Text die eigene Realität wiedererkennen.
Da dieses Jahr Franz Kafkas 100-jähriger Todestag, möchte ich ein Beispiel von ihm aufgreifen. Er schreibt in seinem (nie abgeschickten) ‚Brief an den Vater‘, dass er als Kind unter dessen autoritärer und empathieloser Kommunikation sehr leiden musste. Die Verhaltensweisen des Vaters, die Kafka beschreibt, finden wir heute in Diskussionen zu toxischer Männlichkeit wieder: unkontrollierte Wut, tyrannische Persönlichkeit, gewaltvolle Kommunikation. Kafka ist keineswegs ‚verstaubte Literatur‘, sondern trifft auch heute noch den Nerv der Zeit. Toxische Kommunikation haben viele im Berufsalltag erlebt, der häufig von hierarchischen Strukturen geprägt ist. Mitarbeitende leiden oft unter der ganz instinktiven Angst, gescholten zu werden.
Sicherlich helfen Konzepte wie die ‚gewaltfreie Kommunikation‘, verbalen Entgleisungen, Wutausbrüchen und unfairen Angriffen entgegenzuwirken. Doch ist bei Weitem nicht jeder in solchen Methoden geschult. Umso wichtiger ist es, wie Bei Bei betont hat, sich als ‚Empfänger emotional zu distanzieren – z.B. durch eine Analyse mit dem 4-Ebenen-Modell. Mir selber fällt es allerdings auch schwer, verbale Attacken nicht an mich persönlich heranzulassen.
Dovile: In meinem Fall habe ich durch meine persönliche Geschichte gelernt, besonnen mit solchen Situationen umzugehen. Denn die emotionale Reaktion meines Gegenübers, bedeutet immer auch, dass derjenige etwas von sich zeigt. Man gibt in einem Streit etwas über die eigenen Bedürfnisse preis. Welche ist deine Strategie, Bernadette, auf Wutausbrüche zu reagieren?
Bernadette: Mir ist bewusst, dass es verschiedene Konfliktphasen gibt: Wenn jemand plötzlich sehr emotional reagiert, steckt er schon tief im Konflikt. Im roten Bereich. Die Gründe können woanders liegen: vorausgegangene Streitigkeiten, Krisen oder Probleme. Teilweise spielen Unsicherheiten zu Hierarchien eine Rolle – auch je nach kulturellem Kontext. In manchen Kulturkreisen sind Hierarchien klar festgelegt. Im deutschsprachigen Raum müssen sie oft implizit ausgehandelt werden, was zu Frustration und Missverständnissen führt.
Wichtig ist einfach bei toxischen Gefühlsausbrüchen zu erkennen, dass derjenige gerade emotional ums ‚Überleben‘ kämpft und in dem Moment den anderen nicht mehr empathisch wahrnehmen kann.
Man sollte demjenigen diese Phase lassen, aber in manchen Situationen bin ich selber in der roten Phase. Dann sendet jede(r) nur noch und keine(r) hört zu. Gute Moderator*innen schaffen es mitunter, die Beteiligten soweit zu beruhigen, dass sie sich körperlich entspannen und sich wieder zuhören. Falls das nicht der Fall ist, muss man das Gespräch abbrechen.
Es gibt auch den umgekehrten Fall, dass Personen immer stiller werden. Gerade wenn die lauten Leute still werden, ist klar, dass etwas schiefläuft. In beiden Fällen muss man sich bewusst sein, dass keine Informationen mehr ausgetauscht werden. Ich habe Jahre gebraucht, um diese Dynamiken zu erkennen.
Dovile: Es gibt also nicht immer für jede Situation die Patentlösung. Trotzdem hoffe ich, dass wir unseren Leser*innen ein paar Denkanstöße mit auf den Weg geben konnten.
Es werden noch weitere Interviews zum Thema Softskills folgen. Schaut gerne wieder vorbei und schreibt uns eure Meinung auf LinkedIn.
Dieses Interview ist Teil der Serie „Softskills im Berufsleben“. Mehr dazu erfahrt ihr hier.