Die Wichtigkeit von Diversity ist inzwischen unbestritten. Viele Unternehmen haben Vielfalt in ihre Corporate Identity aufgenommen. In Zeiten des Fachkräftemangels frohlocken verzweifelte Recruiter, wenn sie Führungskräften Bewerbungen auf den Tisch legen dürfen, die über die „üblichen Verdächtigen“ hinausgehen. Und Vorstände sind für das Thema spätestens durch renommierte Studien sensibilisiert. Denn die Zahlen zeigen, dass diverse Teams eine bessere Performance liefern.
Die Offenheit dafür, allen eine Chance zu geben, sehe ich als eine enorme Bereicherung für uns alle. Doch warum hört das Bemühen um Diversity oft an der Fachgrenze auf? Die Disziplin, die auf dem Hochschul- oder Ausbildungszeugnis steht, stellt für HR, Führung und Management oft ein K.O.-Kriterium dar. Doch tatsächlich lohnt es sich, auch bei der Fachdisziplin mehr „out of the box“ zu denken.
Quereinstieg: keine Seltenheit und trotzdem exotisch
Wenn ich meine eigenen Erfahrungen als Quereinsteigerin Revue passieren lasse, zeichnet sich ein zweischneidiges Bild ab: Einerseits war ich als Geisteswissenschaftlerin positiv überrascht, dass ich in der Industrie auf weitere Mitarbeitende mit fachübergreifenden Karriereren traf — wenn auch selten. Aber immerhin gab es andere Quereinsteiger*innen bisher bei jedem meiner Arbeitgeber. Andererseits begegnete mir der Großteil des Kollegiums mit Fragezeichen in den Augen, wenn sie von meinem „exotischen“ Ausbildungshintergrund erfuhren.
Bei den klassischen Kennenlern-Gesprächen in der Belegschaft wird das Studienfach dann gerne zum Thema. Oft schien es mir, als müsste ich noch einmal erklären, warum ich für die angetretene Stelle qualifiziert bin — und das obwohl ich ja gerade erst das Bewerbungsverfahren erfolgreich durchlaufen hatte. Doch jenseits meiner persönlichen Erfahrung ist es viel wichtiger, zu fragen, ob Mitarbeitende, die fachübergreifend rekrutiert werden, einen Mehrwert für das Unternehmen bringen. Kann jede(r) alles (lernen)? Oder gibt es auch Grenzen der interdisziplinären Beschäftigung?
Die Qualifikation muss stimmen — doch welche Profile sind qualifiziert?
Die Idee, dass jede Person das Potential hat, alles zu können, ist eine bewundernswerte idealistische Vorstellung. Doch ohne Umschweife gebe ich zu, dass in der Alltagsrealität eines Unternehmens alles seine Grenzen hat. Selbstverständlich müssen neue Mitarbeitende qualifiziert sein. Und insbesondere bei sehr spezialisierten Stellen kommen nur Personen mit einschlägigen Ausbildungen oder Erfahrungen in Frage. Man denke etwa an technische, medizinische, juristische Berufsfelder.
In Unternehmen gab es schon immer Abteilungen, die mehr oder weniger zum Quereinstieg geeignet waren. Und zusätzlich bringt die Digitalisierung nicht nur Businessmodelle in Bewegung, sondern auch die dazugehörigen Jobprofile. Und so müssen Unternehmen Positionen besetzen, die ihnen bis vor Kurzem noch gänzlich unbekannt waren — seien es Agile Coaches, UX-Manager oder Customer Happiness Officer (mein persönlicher Lieblingstitel), um nur wenige Beispiele zu nennen. Akademische Ausbildungsstätten können mit der schnellen Dynamik des Arbeitsmarktes kaum mithalten, was die Frage nach einem entsprechenden Studium ad absurdum führt.
Die Geschwindigkeit, mit der angelerntes Fachwissen in bestimmten Feldern veraltet, nimmt rasant zu. Und nicht zuletzt stellt künstliche Intelligenz die Bedeutung von (Fach-)Wissen auf eine schmerzvolle Probe. Umso mehr wird das Recruiting mit der Aufgabe konfrontiert, nicht nur nach Kompetenzen zu suchen, sondern auch nach Persönlichkeitstypen. So können Kreativität und Anpassungsfähigkeit in Transformationsprozessen wichtige Schlüsselfähigkeiten darstellen. Quereinsteiger*innen können sie oft bieten, denn schließlich haben sie ja bereits bewiesen, dass sie sich in neue Materien eindenken können.
In unseren schnelllebigen Arbeitsumfeldern performen diverse Teams auch deshalb so gut, weil verschiedene Köpfe gemeinsam ein breiteres Spektrum bedienen können. Daher kann auch eine Mischung an Fachdisziplinen zur erfolgreichen Navigation durch unsichere Zeiten beitragen. Natürlich stellen Quereinstiege die klassischen Recruitingprozesse vor einige Herausforderungen. Umso mehr benötigen wir ein Bewusstsein dafür, dass Qualifikation nicht nur im Kompetenzprofil besteht, sondern auch eine „Typ-Frage“ ist.